Verschollen im Bürodschungel

Humor

Es begann damit, dass ich mich schon am Vortrag einigermaßen schlecht fühlte, wenn ich auch nur ans Arbeitsamt dachte. Jedes Mal fühlte ich mich so, also bräuchte ich eine Survival-Guide um durch die Gänge des Arbeitsamts erfolgreich schleichen zu dürfen.

Fest stand, dass sich jegliche Logik bei mir ausschaltete und ich immer zu einem Bündel von Angstgewimmer wurde, wenn ich auch nur daran dachte demnächst einen Termin beim Arbeitsamt zu haben. Diese -anfangs unbegründete Angst- wurde nahezu geschürt von den kleinen Teufelchen auf der anderen Seite des Schreibtisches. Sicher, so manchem guten Verkäufer nahm man es ab, wenn er lächelnd die Hand anbot. Im Arbeitsamt glich mir diese Geste eher einem Pakt mit dem Teufel. Am schlimmsten war es, wenn sie einem mit eben diesem Lächeln mitteilten, dass das gesamte Brockhaus-Lexikon von Anträgen völlig umsonst ausgefüllt wurde. Am besten man befindet sich in der Grauzone. Ja, richtig, die kennen die Beamten nämlich allesamt. Und damit meine ich ALLE. Auch die, die zu jeder Zeit ein leckeres Truthahnsandwich am Arbeitsplatz essen dürfen. Das hätte ich eben genauso gern verspeist als die tatsächlich sehr freundliche und höfliche Sachbearbeiterin versuchte mich in die Realität zurückzuholen. Bringt ja nichts geistesverwirrt sabbernd der anderen Bearbeiterin nachzuschauen.

Zusammen entpackten wir eine weitere Schicht von erstaunlich wichtigen Dokumenten, von denen ich niemals gedacht hätte, dass sie irgendeine Rolle in meinem Leben spielen würden. Fast mein ganzes Leben aus finanzieller Herkunft wurde akribisch erfasst. Meine Angst wuchs wieder. Meine Angst vor der Zukunft. Mir fiel ein, dass ich vergessen habe mein Luftschloss anzugeben und meine Seifenblasensammlung. Was, wenn sie mir das irgendwie anrechnen? Und wie sieht es mit meinem magischen Einhornplüschtier aus, das seit mehreren Jahren mein stetiger Mitbewohner ist? Gehört es zu meiner Bedarfsgemeinschaft?

Diese und alle anderen Fragen wurden wertlos, als nach meinem ersten, recht gut überlebten Termin, zum zweiten Gespräch tigern wollte. Vorgesehen war eine halbe Stunde Zeit um von dem einem Arbeitsamtgebäude zu dem anderen Gebäude zu gelangen. Keine weite Strecke für einen geübten Läufer. Für mich jedoch in der Hitze des Gefechts eine Ewigkeit entfernt. Wäre ich direkt nach dem ersten Kontakt losgehetzt, hätte ich vielleicht den Hauch einer Chance gehabt.

Stattdessen entschied mein privater Arbeitsvermittler jedoch mich im Foyer warten zu lassen. Mit jeder Minute wurde ich aufgeregter. Klar, mit dem Auto kommt man schneller voran. Nicht aber mit Herrn B aus F. Herr B zählt zu den wagemutigen Exemplaren, die sich gegen den Zeitplan der Zeit stellen, da sie glauben, die Zeit würde schon einsehen, dass sie warten muss. Meine Nerven wurde mit jeder Sekunde immer gespannter. Der Sekundenzeiger eilte vorbei an Ziffern. Vermutlich wusste er, dass mein Arbeitsvermittler es nicht so genau mit der Zeit nehmen würde.

Etwa fünf Minuten nach vereinbarter Zeit erhielt ich einen Anruf. Aufgeregt nahm ich den Anruf an. Mit nahezu schlafwandlerischer Intonation gab mir mein Vermittler bekannt, dass er sich noch zwischendurch um einen anderen Kunden kümmern müsse, wir also noch warten müssten, bis diese Sache geklärt sei. Eine Wahl hatte ich natürlich nicht.

Mein Kopf wurde schon ganz rot vor Stress, aber ich ließ es mir sonst nicht anmerken. Auch meine zitternd roten Hände, die sich in Richtung seines Halses bewegten, um ihn wachzurütteln, verrieten keineswegs mein Ansinnen. Ich hatte genug Zeit mich etwas abzukühlen, während der andere Kunde und mein Vermittler für eine viertel Stunde verschwanden.

Es war 5 Minuten vor um Zwei. Also genau fünf Minuten vor meinem Termin. Keine Ahnung, ob wir das noch pünktlich schaffen würden, dachte ich. Ich redete mir ein, dass ich eh bestimmt nur viel zu schwarz sähe. Nach einer Weile war ich überzeugt von meinem Mantra: „Ja, wir können es noch schaffen!“ Dann sehe ich wie Herr B statt schnurgerade zum Gebäude zu laufen zum Parkplatzwächter des Aldidl abbiegt. Meine Felle schwammen also wieder einmal davon. Weit entfernt hörte ich mich fragen, was er vorhabe. Meine Frage wurde damit erklärt, dass Herr B in den Aldidl lief. Meine Fragezeichen müssten jetzt so offensichtlich im Gesicht gestanden haben, dass Herr B mir erklärte, ich solle doch schon vorgehen. Er hätte noch etwas zu erledigen. In diesem Augenblick zweifelte ich an mir, warum ich dann im anderen Haus I hatte auf ihn warten müssen. Das wird wohl für immer ein ungelöstes Mysterium bleiben.

Eilig hastete ich zum Industrieblock, dem Gebäude 2 angehörte. Im Schilderwald fand ich, vermutlich dank Vorkenntnissen im Haus 1, sofort den Eingang. Ich war stolz auf mich. Ich würde es bestimmt noch schaffen. Der Komplex war wesentlich kleiner und übersichtlicher. Das zumindest dachte ich. Mit dem Fahrstuhl fand ich auch auf Anhieb die richtige Etage (und das lag nicht an der Ausschilderung, sondern viel mehr an meiner logischen Schlussfolgerung).

Jetzt kam meine verheerende Entscheidung. Es stand fünfzig zu fünfzig. Sollte ich nach rechts gehen, wo der Gang gleich zu Ende war oder sollte ich nach links gehen? Prüfend sah ich mir die Beschilderung der Räume an. Daraus schloss ich die falsche Konsequenz. In meiner Kühnheit hatte ich angenommen, auch die Zimmerausweisungen würden einer gewissen logischen Anordnung entspringen. Tatsächlich galt es aber nicht, dass mit fortlaufendem Raum auch die Ziffern anstiegen. Da ich ein großer Selbstzweifler bin, habe ich natürlich trotzdem nach rechts geschaut, um mich zu vergewissern, dass das wirklich der falsche Weg war. Die Räume rechts hatten eine gänzliche andere Bezeichnung als meine gegebene Terminangabe mir mitteilte. Die links jedoch muteten mir an, dass ich scheinbar auf dem richtigen Weg war. Sorgfältig glich ich die Räume ab, bis ich am Ende des Ganges ankam. Die Glastür gaukelte mir vor, fast wieder am Anfang angekommen zu sein. Ich dachte mir also nichts dabei, als ich die Tür aufstieß, hindurchglitt und die Tür hinter mir zufiel. Die andere Glastür stand mir doch offen. Ich war fest überzeugt, eine Runde gelaufen zu sein. Zu meinem Erstaunen war die Tür verschlossen und die Tür, von der ich herkam, ließ sich auch nicht mehr öffnen. Schwerstens verwirrt lief ich die Treppen eine Etage herunter. Hatte ich etwas verpasst? Die Etage unter mir war ebenfalls mit verschlossenen Türen versehen.

Wer mich kennt, weiß, dass ich mich sehr schnell wie ein Schmetterling unter einem Marmeladenglas fühlen kann. In meiner Kindheit klemmten gern Türen so fest, dass ich sie nicht mehr allein aufbekam.

Die Türen waren auch heute so wahnsinnig sperrig, dass man sich entweder lediglich anlehnen konnte oder sie so fest halten, dass man einen Werkzeugkoffer braucht, um sie wieder auseinander zu basteln. Von abschließbaren Türen bin ich also nur minder begeistert.

Es kam wie es kommen musste. Binnen kurzer Zeit wurde ich leicht panisch. Entspannt und gelassen zerrte ich an den Klinken, besprach sie mit Fürworten und flehte sie an aufzugehen. Am schlimmsten war es am Ausgang mit der Drehtür. Draußen lief niemand, aber ich konnte die Autos auf der Straße sehen. Doch die Tür blieb fest und unbeweglich.

Als ich zum Fahrstuhl zurückkehrte (nach einigen Versuchen andere Ausgänge zu finden), entdeckte ich zwei Leute im Fahrstuhl. Ich hielt es für das Klügste mich Ihnen anzuschließen und Ihnen zu folgen. Harhar! Mein große Chance meinen Entführern des Labyrinths zu entkommen. Meine Notfallausrüstung bestehend aus meinen verrückten Augengleitern war nun doch überflüssig. Innerlich jauchzend und krakeelend watschelte ich möglichst unauffällig auf meine Beobachtungsopfer zu. Das wäre doch gelacht, wenn die einem nicht weiterhelfen konnten! Mein Plan mit dem (nicht vorhandenen) Schneidbrenner und den Karate-Kicks wurde vorerst ad acta gelegt. Natürlich ließ ich mir nichts anmerken, als ich bemerkte, dass meine Hoffnung vorschnell kam. Die stiegen einfach nicht vor mir aus! Musste ich meine neuerworbene Coolness abwerfen und sie doch – oh nein!! – nach dem Weg fragen? Meine gute Laune driftete ab in meine vorherigen Alarmzustand. Ach nöööö!!! War denn das zu fassen?! Endlich erwischte ich MENSCHEN in der Einöde des Arbeitsamtgebäudes und dann sowas! Ich kam mir vor, wie ein Marsforscher, der entdeckt, dass die Marsmenschen keine Ohren und Münder zum Kommunizieren hatten – und noch schlimmer! Sie waren Bürokraten! Mein schlimmster Alptraum wurde wahr!

Nachdem ich mich gefasst hatte, stellte ich fest, dass die Spezies Gebäudeläufer verschwunden war, während ich mit meinem schweren Trauma kämpfte! Verdammt!

Gerade konnte ich noch sehen, wie sie durch eine Tür hindurchspazierten, als gehöre Ihnen der gesamte Mars, äh…, hüstel,… ich meine natürlich das Labyrinth. Ich klinkte verzweifelt, aber die Tür ging nicht auf. So sehr ich mich auch bemühte. Ich überprüfte, ob ich einen Notfallplaner einstecken hatte. Wie? Sie kennen sowas nicht? Überleben Sie mal eine drei Jahre Irrenhausausbildung! Das ist das erste, was man dort lernt: Schritt 1 – Fallen Sie nie in eine irreversibel reverse Depression, beispielweise durch den Genuss ungenießbaren Essens*. Schritt 2: Ja, war ja klar, dass Schritt 1 niemand einhalten würde. Jetzt also nichts wie einen kleinen Notfallplaner basteln. Glauben Sie mir, das läuft ganz natürlich ab. Sie nehmen einen gewöhnlichen Terminplaner und reißen jede einzelne Seite raus. JEDE. Auch das schwarze Schutzummantelung, genannt ****. Jetzt kommt der wirklich einfache Teil. Tackern Sie alle Seiten einfach auf gut Glück irgendwie an die Innenseiten des ****. Das dürfte dann etwa so aussehen wie ein Mülleimer ohne Eimer. Damit alles authentischer aussieht, müssen Sie jetzt nur noch einen dick schreibenden, dramatisch tiefschwarzen Edding zur Hand nehmen und mit der Hand sinnlose Wörter aufkritzeln. Zum Beispiel „Stimmungsanalyse: katastrophal“, „Lösungsansatz: unlösbar“ und „wie demotiviere ich mich am besten?“. Das sind alles sehr viel versprechende Möglichkeiten seine Situation völlig in Chaos zu treiben. Glauben Sie mir, einmal habe ich einen Hund mit einer Gazelle verwechselt – und das nur weil mein Notfallplaner ergab, dass Enchiladas und Chinchillas eine hervorragend deliziöse Zahnpasta aus Tubenleim ergeben. Meine Therapeuten brauchten Jahre, um mich wieder in ein Irrenhaus einweisen zu können. Sie sagten sowas wie, dass ich ein schlimmes Trauma durchlitten hatte. Klang ähnlich wie Gerundheit. Hm, ich habe nie verstanden, was sie mir wohl damit sagen wollten. Vielleicht war das ja eine spezielle Form der Verrücktheit. Sozusagen die Spitze vom Eisberg oder so…

Das war übrigens auch der entscheidende Tipp für den Weg aus dem Labyrinth. Irgend so ein Komiker hatte unverständliche Schilder an die Wände gepappt. Das standen so unverständliche Worte wie „Arbeitsamt Rehabilitationsabteilung“ und „Zimmer 300 bis 400“ verbunden mit einem Pfeil nach links. Begierig übte ich mich meine verschollenen Kenntnisse der Hieroglypen zu nutzen und den Texte ins Deutsche zu übersetzen. Es gelang mir tatsächlich. Ich war so überrascht, dass ich beinahe gegen die Glastür gelaufen wäre. Äh ja, der Nasenbruch hat überhaupt nichts damit zu tun. Das war rein zufällig. Und die Glassplitter, die ich auf der Schulter trug, waren nur Souvenirs aus dem Labyri…äh, Arbeitsamt. Außerdem steht mir Glas sehr gut. Das glitzert dann immer so schön auf der Haut.

Ahja, wenn ihr jetzt auf ein Happy End hofft, muss ich euch leider enttäuschen. Die Glassplitter durfte ich leider nicht mit nachhause nehmen. Dafür erhielt ich eine Art Auszeichung. Die wollten von mir ein Autogramm und haben mir so seltsame Fragen gestellt. Die wollen bestimmt ein Buch über mich veröffentlichen. Vielleicht werde ich sie ja beim nächsten Besuch dazu ermutigen. Meinen Segen haben Sie jedenfalls. Ohne das Arbeitsamt hätte ich auf gar keinen Fall so eine tolle Rundreise für möglich gehalten. Ha! Ich kenne jetzt Winkel und Ecken, von denen nicht einmal die Angestellten der Agentur wissen! Ich habe die Riesenspinne auf der dritten Etage ins Jenseits befördert. Und das wichtigste – ich habe das Labyrinth überlebt!

Übrigens traf ich noch am selben Tag direkt nach meinem Abenteuer einen anderen Abenteurer, der sich auf den Weg durch die Unweiten des Arbeitsamtgebäudes gewagt hatte. Mit meinem reichhaltigen Erfahrungsschatz konnte ich ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wir haben es also gemeinsam geschafft endgültig den Weg aus der Agentur für Arbeit zu finden. Zusammen haben wir beschlossen einen kleinen Wegweiser für die verlorenen Gäste aufzustellen. Mit den seither vermissten Arbeitslosen haben wir nichts zu tun. Selbst Schuld wer keine ägyptisches Hieroglyphen lesen kann.

* Nein, das ist kein Widerspruch. Das ist nur ein ad absurdum geführtes Paradoxon.
**** unbekannter Begriff, der in der Buchbinderei geläufig ist; ist genauso schwer zu merken wie die Anfangsbuchstaben von der Agentur für Arbeit.

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5 commenti su “Verschollen im Bürodschungel
  1. Anone Girl sagt:

    Die Situation habe ich ähnlich erlebt. Ich glaube nicht, dass das häufig so abläuft, aber unterhaltsam war es allemal. Bin mal gespannt, was als nächstes folgt!

  2. Walter Nutellabrot sagt:

    Wahre Worte. Echt Super geschrieben! Bitte mehr davon! ;D

  3. ich sagt:

    nicht schlecht, nicht schlecht
    klingt nach nem deutschen amt

  4. dat keksmonster sagt:

    Ja, ja, das allseits geliebte Arbeitsamt. Und dazu noch der Haufen namens Jobcenter. Habt ihr gewusst, dass das zwei völlig differente Anlaufstationen sind? Zum Text: Sehr gute Geschichte, probiers doch mal beim Poetry Slam….ich würd für dich voten!

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