Weltenende – Episode 2

Maskerade

Du meine Güte! Passiert dir das öfters?“ Elara stand neben mir und gab nebenbei der Magd, die mir ein feuchtes Tuch auf die Stirn presste, Anweisungen. Es war keine Besorgnis in ihrem Blick, eher eine Art pingelige Aufmerksamkeit. Ganz so als würde es ihr nicht passen, dass ich nicht funktionierte, wie sie sich das wünschte. So freundlich wie ich erst angenommen hatte, war sie wohl doch nicht. Es war als sei sie eine ganz andere Person. Sonst war ich niemand, der schnell anderen vertraute. Bei Elara jedoch hatte ich mich gut aufgehoben gefühlt und ich hatte geglaubt, dass sie nur mein Bestes wollte. Stattdessen war sie inzwischen genauso starr wie die anderen am Hof. Ihr Interesse wirkte aufgesetzt, denn sie wartete nicht einmal meine Antwort ab. Sie dirigierte die Magd mich aufzustemmen und die höfischen Konversationsformen fortzusetzen. Mit Mühe versuchte ich nicht wieder umzukippen. Elara geleitete mich zurück zur Gesellschaft, die in vollem Umfang den Reichtum genoss. Tischgroße Teller umspannten die Tafel wie Spinnweben eine eingekreiste Fliege. Wer hier zu fangen war, war klar. Ich sollte ihr nächstes Opfer werden. König Eseraldo prostete mir von der Ferne zu. Die Blicke der Edelfrauen und Edelmänner waren nur kurz auf mich gerichtet, ganz so als sei ich ein unerwünschter Eindringling in ihrer Welt. Ein künstliches Lachen war neben mir zu hören. Augenblicklich schluckte ich schwer. Wo war ich hier nur hingeraten? War das denn so viel besser als der Ort, von dem ich geflohen war? Die nagende Ungewissheit meiner Zukunft hinterließ einen schalen Beigeschmack. Alle Köstlichkeiten waren für mich nur fade, denn ich wusste, dass ich hier nur gerade so geduldet wurde. Niemand mochte mich wirklich. Es gab nur eine Möglichkeit für mich. So schnell ich konnte, musste ich diesen Ort verlassen und hoffen, dass die anderen Orte da draußen besser für mein Überleben waren. Bis dahin musste ich mein Bestes tun, um die Gunst Eseraldos und seiner Treuesten zu ergattern.

In meine Gedanken versunken bemerkte ich nicht, wie der schwarze Ritter mich verfolgt hatte. „Mylady Saraphee, ich bin enttäuscht, dass ihr meinem Wunsch nicht nachkommen konntet. Ein einfacher Tanz scheint euch schon zu überfordern. Nun denn, wie ihr euch denken könnt, muss ich meine Befragung weiterführen. Euer Verlobter, Prinz Edvard von Vardenfell, ist, wie ihr sicherlich bereits bemerkt habt, ein gesuchter Schwerverbrecher. Mich interessiert, in wie weit ihr in seine Machenschaften involviert seid. Ich werde euch im Auge behalten. Wir haben dies hier bei euren Gewändern gefunden. Zweifellos ist es eine Waffe. Sollte sich herausstellen, dass ihr an dem Anschlag auf den Kaiser beteiligt wart, dann wird euch kein schneller und angenehmer Tod gewährt werden.“ Sein makelloses Gesicht zuckte nicht im Geringsten. Dabei war ich mir sicher, dass er schon eine Menge Menschen auf dem Gewissen hatte und ich wollte nicht dazu gehören. Betreten nickte ich. Mir war nicht nach Reden zumute. Alles, was ich an ihn richten würde, könnte er später gegen mich verwenden. Daher gab ich mich so untertänig wie ich konnte. „Sehr wohl, Mylord.“ Mein Instinkt riet mir zur Flucht. Mein Verstand wusste, dass ich mich damit nur noch auffälliger verhielt. Stattdessen suchte ich einen ruhigen Platz neben sehr geschwätzigen Damen und nickte beiläufig und zustimmend, als würde ich jedes Wort klar und deutlich verstehen.

Plötzlich hörte ich aus dem Tumult meinen Namen heraus. „Die Lady Saraphee scheint nicht gerade klug zu sein. Vorhin habe ich gehört, wie sie um Brokkoli als Beilage bat! Man stelle sich vor, die Lady und ein Gemüse, das nur für Bauerntölpel essbar ist! Jeder weiß doch, dass Brokkoli verdummt.“

Lady Elsa, das ist wirklich unerhört! Mal sehen wie sie sich bei der Probe anstellen wird. Eventuell ist sie ja zu weltfremd, um auch nur eine Aufgabe zu lösen. Lord Kavendish mag sie ja bisher verteidigen, aber er weiß nicht, worauf er sich da einlässt. Sie hätte doch wirklich wissen müssen, dass die Verlobung mit Lord Edvard unter schlechten Sternen stand. Also natürlich wusste das jeder, der am Hofe etwas im Kopf hat, nicht wahr, Lady Elara?“

Hochmütig nickte Elara. Endlich begriff ich, dass sie mich in eine Falle geführt hatte und ich war bereitwillig darauf eingegangen.

Eine nicht ganz so aufwändig gekleidete junge Frau trat auf Elara zu und besah sie voller Wertschätzung. „Lady Elara, ihr seht heute wieder besonders modisch aus. Ist das Samtbrokat aus den Hochlanden? Steht euch hervorragend, Mylady!“

Eileen, wie nett, dass der König euch erlaubt hat an den Festivitäten teilzunehmen.“ Elara würdigte sie keines Blickes, sondern wandte sich fest an ihre vorangegangene Gesprächspartnerin. „Lady Elsa, wie gut Ihr kombinieren könnt! Seine Hoheit hat mich entsandt, um Saraphee zu begutachten. Dieses Ding ist kein bisschen talentiert und auch sonst recht unmanierlich. Am Hofe ist einfach kein Platz für Sie.“

Eine ganz in Grün gekleidete Dame schummelte sich in die Unterhaltung. „Lady Elara… wollt Ihr nicht erst die Probe abwarten, bis Ihr euch ein Urteil gebildet habt?“ Die Frau zeigte ihre Abscheu gegenüber Elara ganz offensichtlich.

Nun, Lady Nimue, es kann nicht jeder so unbedarft sein und sich leisten so wenig Urteilskraft zu besitzen wie Ihr. Der König hat meine Fähigkeiten nie angezweifelt. Aus gutem Grund.“ Elaras Augen bildeten kleine Schlitze. „Zweifellos werdet Ihr mir nach der Probe beipflichten.“

Augenblicklich änderte sich Lady Nimues Verhalten in ein wohl gesonnenes Nicken und Zustimmen. „Wenn Ihr das sagt, wird was dran sein. Darüber habe ich so nicht ausreichend nachgedacht. Verzeiht, hochgeschätzte Lady Elara. Nunja, es ist besser, dass ich mich zurückziehe und den Schlauen und Weisen die Diskussion überlasse.“ Wie als wäre Nimue plötzlich ein anderer Mensch stolperte sie betreten fort. An diesem Abend unternahm sie keinen Versuch mehr sich mit jemand anderem zu unterhalten. Selbst nicht mit mir oder gerade nicht mit mir. Allen stand es ins Gesicht geschrieben: Ich war eine Ausgestoßene seit der Verhaftung meines Verlobten, der nun zum Tode verurteilt war. Mir würde es nicht anders ergehen, wenn ich die Probe morgen nicht bestand.

Die komplette Nacht über konnte ich nicht schlafen. Unruhig ging ich in meiner Kammer auf und ab. Der Himmel war sternlos und dunkel. Die Perspektivlosigkeit warf mich um. Vor meiner Tür standen fünf Waffen, die allesamt stärker und im Kampf erprobter waren. Zudem befand ich mich im Turm. Aus dem Fenster konnte ich auch nicht fliehen. Der Gedanke an Gefangenschaft zermürbte mich mit jeder Minute. Bisher hatte ich immer fliehen können, aber nur weil sie mich niemals zu fassen bekommen hatten. Wenn ich unmittelbaren Druck erlebt hätte, wäre es mit der Planung leichter gewesen. Gewöhnlicherweise war ich die Person, die in direktem Kontakt mit dem Tod schnell Auswege fand. Diese Unsicherheit lullte mich ein und legte sich wie ein Kokon um mich, so dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Konnten Sie mich tatsächlich so unbändig verabscheuen? Morgen hatte ich noch eine letzte Chance. Besser gesagt in vier Stunden, denn der Morgen graute bereits.

Gerade hatte ich mich entschlossen doch eine Fluchtversuch zu wagen, da stand sie vor mir. Genau in dem Moment als ich die schwere Holztür geöffnet hatte. Eiskalt musterte sie mich. „Lady Saraphee, wie schön, dass Ihr euch schon ausgehfertig bereitet habt. Leider können wir das so unmöglich lassen. Seht, König Eseraldo möchte, dass ihr dieses Gewand tragt. Schließlich sollte es dich abgrenzen gegen den gemeinen Pöbel.“ Auf ihrer Hand lag fein zusammengelegt ein kornblumenblaues Kleid mit langen Trompetenärmeln und einer engen Taille. Es schnürte mir mit dem eingebauten Korsett die Luft ab, so dass ich kaum nachdenken konnte. Der violettblaue Rock schürfte unbeholfen über dem Boden. Am liebsten hätte ich sofort eine Schere genommen und es wenigstens soweit gekürzt, dass ich normal laufen konnte, ohne mich ständig zu verhängen. Dass ich es schaffte, nicht die Treppen herunter zu stolpern, lag einzig daran, dass zwei Zofen mir halfen, dass Kleid zu halten. Jedda und Olidia, meine mir zugeteilten Zofen, waren freundlich, aber distanziert. Mit einer Präzision eines Uhrwerks banden und flochten sie mir streng die widerspenstigen Haare. Ein paar Mal hatte ich das Gefühl, dass keines meiner Haare diese Prozedur überstehen würde. Als ich das Ergebnis sah, war ich ehrlich überrascht, dass die Fülle meiner Haare noch erhalten war. Das konnte man von Lady Elara nicht behaupten. Sie hatte feines, blondes Haar, das so dünn war, dass sie relativ kurze Haare tragen musste. Natürlich war sie die einzige, die sich das erlauben durfte. Denn auch nur sie entschied, wer bleiben durfte und wer nicht. Leider zählte ich nicht zu den Erlauchten ihrer Gruppe. Andererseits war ich nicht der Gemeinschaftsmensch. Besonders jetzt fiel mir das auf.

Das Volk war neugierig und zugleich skeptisch gegenüber mir. Man sah ihnen an, dass sie mich nicht sonderlich mochten.

Der Marktplatz glich einem Schafott. Ein Henker, so kam er mir jedenfalls vor, bildete die Mitte des Platzes. Um ihn herum konnte ich drei Personen zuordnen, die ich bereits kannte. Lady Elsa, der Schwarze Ritter und auf dem Thron seine Hoheit Eseraldo. Das Schauspiel schien ihn überhaupt nicht zu beeindrucken. Als wüsste er bereits, was geschehen würde, betrachtete er den Markt mit einer Neugier, die allenthalben als mangelndes Interesse zu bezeichnen war. Er hob die Hand, so dass es jeder sehen konnte. Kurz darauf begann der Henker zu sprechen. „Volk von Esethien! Seine Hoheit hat beschlossen ein ganz besonderes Spektakel auszurufen. Es ist lange her, dass die letzte Probe statt fand. Nun, Volk von Esethien, hat der Schwarze Ritter höchstpersönlich sich bereit erklärt, die Liberatio zu leiten.“ Tosender Beifall war zu hören. Die Leute waren offenbar große Anhänger dieses Mannes. Vermutlich weil er Lord Edvard als Verräter an der Krone entlarvt hatte. Scheinbar schien niemand an seiner Schuld zu zweifeln. Niemand außer mir. Lord Edvard war der Gütigste unter allen Adelsträgern am Hofe gewesen. Natürlich konnte ich auch hier mich getäuscht haben, so wie ich Elara falsch eingeschätzt hatte. Elara war eine Klasse für sich. Noch nie hatte ich jemand so Durchtriebenen kennengelernt. Der Schwarze Ritter war grausam, aber nicht hinterlistig. Selbst dem König traute ich nicht so viele Intrigen zu. Unbeteiligt thronte er immer noch über der Menschenmenge, als er die Geste zum Anfangen der Spiele gab. Nein, ich übertreibe nicht. Es kam mir vor wie die Gladiatorenkämpfe, nur dass man da eher eine Chance hatte zu gewinnen. Gleich bemerkte ich nämlich worin die Probe bestand. Sie testeten mich auf magische Fähigkeiten. Nur, dass ich keinerlei Grundvoraussetzungen dazu hatte. Mühsam rang ich gegen einen Eber. Besser formuliert vermied so gut es ging dem Eber zu nah zu sein – solange bis er sich selbst ins Aus beförderte, indem er gegen einen Baumstamm geriet. Meinem zweiten Gegner konnte ich schon schwieriger ausweichen. Der Krieger gehörte zu der Kaste der Söldner. Seine Muskeln waren atemberaubend stark. Das war nicht nur sprichwörtlich so. Er drückte mir mit seinen Händen den Hals zu, bis ich glaubte weg zu driften. Seltsamerweise kam mir genau da in den Sinn mit letzter Kraft mein Knie in sein Gemächt zu rammen. Ungläubig kreischte er auf. Meine Überlebenslektion Nummer 1 hatte sich schon oft rentiert, besonders gegen große stämmige Männer, die kräftige Muskeln, aber verkümmerte Genitalien hatten. Inzwischen hatte ich auch eine richtige Technik drauf, die besonders schmerzvoll für meine Gegner war. Leider hielt mein Erfolg nicht lang. Im nächsten Zug überfiel mich ein glibberiger Schleim, der mich komplett lähmte. Gerade so konnte ich atmen. Als würde das nicht reichen, legte der Schwarze Ritter direkt Hand an mich an. Sein Schwert durchbohrte meine Schulter auf grausige Weise. Die Klinge hatte Widerhaken und war in ein Extrakt getränkt, dass den Schmerz auf grässliche Weise verstärkte. Meine Emotionen übermannten mich und, wenn ich mich hätte bewegen können, hätte ich mich vor Schmerzen gekrümmt. Die Masse jubelte.

Dann geschah das erste wirklich Unvorhersehbare. Die Klinge des Schwarzen Ritters begann zu schmelzen, als ob sie über Feuer gehalten worden wäre. Dünnflüssig tropfte das Metall auf den staubigen Boden. Erst war der Ritter verwirrt, doch dann setzte er das selbe hochmütige Gesicht wie immer auf.

Der Henker nutzte die Gelegenheit des Triumphes. „Sehet, Volk von Esethien! Die Götter haben zu euch gesprochen! Wisset, dass dies nur eine erste Verheißung der himmlischen Reiche ist! Dort, wo einst das Schwert gewesen ist, ist nun reinste unbefleckte Energie!“

Verdutzt folgte ich dem Blick des Henkers. Das Heft des Schwertes leuchtete etwas nach, aber ansonsten war nichts zu sehen. Das tat dem Applaus des Publikums jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil, wild und energisch schwenkten sie Fahnen in den Farben des Reiches von Esethien.

Meine Körperkraft kehrte langsam wieder zurück. Als erstes konnte ich meine Arme und Hände wieder bewegen. Danach stützte ich mich kräftezehrend auf. Links und rechts packte jemand meine noch schwächelnden Arme und zog mich zu einem Teich mit einer Insel. An meiner Seite überschattete mich eine Korkenzieherweide, neben dem ein Holzscheit aufgebaut war. Es war nicht schwer zu erahnen, dass er für mich aufgebaut war – für den Fall, dass ich versagte.

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1 Kommentar auf “Weltenende – Episode 2
  1. Kleisthenes sagt:

    Fulminante Fortsetzung! Zu meiner Verteidigung, sonst lese ich eher high fantasy und dsa.

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