Es war ein guter Tag gewesen. Zwar nicht so einer, wie man ihn aus Hollywood kennt. Nein – ihr war kein Held begegnet, der auch nur daran dachte sie zu küssen. Im Lotto hatte sie erst recht nicht gewonnen. Wie denn auch – sie spielte ja schließlich nicht. Das alles war auch nicht das, was sie sich gerade vorstellte, was unbedingt zu ihrem Glück noch fehlte. Sie war zufrieden. Wirklich zufrieden. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl entspannt zu sein. Am Vormittag hatte sie noch ihre beste Freundin besucht. Das hatte sie sich schon längst einmal vorgenommen. Nur irgendwie war sie immer viel zu beschäftigt gewesen. Die Gespräche schienen nie zu verstummen – so lange hatte man sich nicht mehr gesehen. Doch irgendwann war es auch Zeit für sie nach Hause zu gehen. Nun saß sie in ihrem Schaukelstuhl. Dieser hatte noch ihrer Großmutter gehört. Er passte gut in ihr beschauliches, kleines Leben. Er verbreitete eine wohltuende Aura. Manchmal hatte sie noch das Gefühl den Duft ihrer Großmutter wahrnehmen zu können, wenn sie wie jetzt gerade in einer alten Decke gehüllt schaukelnd nachdachte. Dabei kamen längst verschüttete Erinnerungen hoch. Wie jene, wo ihre Großmutter ihr noch etwas vorlas, während sie auf dem Teppich spielte. Da war sie aber noch ganz klein. Später führte sie mit ihrer Großmutter lange Gespräche meistens über Literatur. Wobei die Geschmäcker beider eigentlich seit eh und je allzu verschieden waren. Sie erinnert sich noch, wie sie der Großmutter eifrig über ein Buch von Kafka berichtet hatte, dass sie gerade erst gelesen hatte. „So ein Unfug!“, hatte die Großmutter gemeint, „Aus Menschen werden doch keine Käfer!“. Und dabei blieb es auch, nachdem sie versucht hatte, die Großmutter von ihrer Interpretation zu überzeugen. Danach wandten sie sich wieder sicheren Gesprächsthemen wie Fontane oder Goethe zu.
Diese Zeit war längst vorbei. Der Geist ihrer Großmutter verblasste langsam und schmerzvoll bis schließlich nur noch ein Körper übrig gewesen war. Da wohnte die Großmutter schon woanders und den Stuhl überließ diese ihrer Enkeltochter. Den Schaukelstuhl und ein Amulett, das sie seit dem Tod der Großmutter immer um ihren Hals trug. Das Amulett war schön und merkwürdig zugleich. Ihr Name war eingraviert. Sie strich mit ihrer Hand drüber in der Gewissheit, ihren Namen in barock verzierten Lettern darauf wiederzufinden.
Die einst rostfarbenen Buchstaben waren seltsamen eisblauen Schriftzeichen, ähnlich den ägyptischen Hieroglyphen, gewichen. Das erste Zeichen ähnelte einem Skarabäus, dem Glückskäfer der alten Pharaonen. Jedes weitere jedoch war zu abstrakt gehalten, als dass sie ihre Bedeutung hätte vermuten können.
Ungläubig schloss sie ihre Augen. Gewiss war das wieder irgend so ein Schabernack. Jemand musste das Amulett ausgetauscht haben. Aber wer sollte so verrückt sein? Wer hätte Spaß daran ihr einen Streich zu spielen? Und wenn es nun doch wertvoller war, als sie bisher angenommen hatte? Was wäre, wenn es ein seltenes Artefakt war, das auf dem Schwarzmarkt einen hohen Wert einbringen würde?
So ein Unsinn! Mahnte sie sich selbst. Das Amulett konnte doch kaum älter als ihre Großmutter sein! Wenn überhaupt! Es sah so unversehrt und gut erhalten aus. Sonst hielten sich Schmuckstücke wie dieses nicht besonders lang. Dafür war es viel zu filigran und zu zart, um einiges aufwändiger als eine Nachbildung einer Rosenblätterkrone. Nein, dies konnte nur ein Wunderwerk eines Juweliers der Neuzeit sein. Und doch, was wusste sie schon über dieses Amulett? Ihre Großmutter hatte ihr nie etwas über den Ursprung erzählt.
Oder etwa doch? Jetzt wo sie darüber nachdachte, war da doch was! Oder doch nicht? Doch, doch – damals, viele Jahre war das jetzt schon her – als sie sich am heißen Ofen den kleinen Finger verbrannt hatte und die Großmutter eine Geschichte zum Trost erzählt hatte. Worum ging es denn da noch mal?
Wie sehr sie auch darüber nachdachte, ihr fiel es nicht mehr ein. Zweifelnd betrachtete sie noch einmal das Amulett. Die ägyptische Schrift war gewichen. An ihrer Stelle stand wieder ihr Name. „Das ist doch verrückt!“ Ein Amulett veränderte sich doch nicht von einer Sekunde auf die nächste. „Ach, ich bin wohl einfach nur müde.“ Diese Sätze brachte sie über ihre Lippen ehe sie überhaupt realisierte, dass niemand anwesend war, um sie zu vernehmen. Das war sonst eigentlich nicht ihre Art. Im Gegenteil. Sie hat sich immer über ihre Großmutter lustig gemacht, wenn sie mal wieder mit der Teekanne oder dem Schlüsselbund sprach.
Verwirrt und auf einmal unsäglich müde legte die sich zu Bett. Das Bett schien sie förmlich magnetisch anzuziehen. Ehe sie ihre Kleidung und das Amulett ablegen und in ihren Pyjama schlüpfen konnte, kollabierte sie auf die frisch bezogenen Kissen.
… Mhm, wie das duftete! Sie sog den frischen Lavendelduft tief ein und vergaß alles um sich herum. Alles bis auf das rätselhafte Amulett, das plötzlich in ihren Händen zu glühen begann. Wie eine schwere Bürde, die immer weiter in ihre Gedankengänge kroch, wurde sie sich ihrer verborgenen in ihr wohnenden Trauer bewusst. Sie fühlte sich allein und verlassen. Obgleich sie nicht wusste, warum sie so betrübt war, seufzte sie beinahe verzweifelt.
Das Amulett begann sich langsam wie weiche Schokolade zu verformen. Immer wieder veränderte es aufs Neue seine Gestalt. Einmal war es ein Reiter mit einem feuerroten Helm und in der nächsten Sekunde war es ein Feuersalamander. Dann wiederum ähnelte es eher unbeholfenen Darstellung eines Feuer speienden Drachen und kurz darauf verwandelte es sich in eine Hand voll rot behelmter, dicht aneinander gereihter Soldaten, eine Armee.
Fremde Erinnerungen kamen auf. Sie sah brennende Holzhütten und lodernde, immer weiter aufsteigende Flammen. Ein Reiter mit roter Gewandung von Kopf bis Fuß warf eine letzte Fackel in das Größte der umher stehenden Häuser. Die leckenden Feuerzungen verschlangen im Nu, was noch übrig geblieben war. Der blutrote Reiter stieß einen barbarischen Schrei aus.
Nachdem er seinen prunkvollen Helm
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