Die Sphinx von Barrow

Raubtier in Angriffspose

PROLOG

Amelia Hawthorpe war keins der guten Mädchen. Sie liebte die Herausforderung, die Neuentdeckung ihrer Grenzen und das Risiko. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen war sie nicht darauf aus einmal Vorstand oder Geschäftsführerin zu werden. Jeglicher Bürokram langweilte sie. Sie gab sich nur damit ab, weil sie damit ihre Tarnung aufrecht erhielt. Niemand käme auf die Idee, dass sie die plante, die Menschheit zu versklaven. Die einen naiven unter uns denken vielleicht, dass Amelia schon immer eine dunkle Seite hatte. Das stimmt schlichtweg nicht. In ihren Kindertagen gehörte sie zu den lieben und braven Kindern. Wenn ihre Eltern ihr Anweisungen gaben, dann befolgte sie diese. Wenn Gleichaltrige sie um Hilfe baten, dann übernahm sie ohne Nachzudenken die Aufgaben, die auf sie zukamen. Ihr seht also, sie war eine durchaus freundliche, liebenswerte Person und überaus hilfsbereit und höflich. Erste Risse ihrer Freundlichkeit kamen in der Grundschule auf. Da begann sie zu begreifen, dass Freundlichkeit nicht alles war. In der Gymnasialstufe war ihr dann klar, dass die guten alten Tugenden in der Welt einen Dreck wert waren. Ihre sogenannten Freunde hatten sie nicht nur im Stich gelassen, sie hatten mit ihrem schlimmsten Feinden über sie gelästert und jede gute Tat von ihr verschlimmerte die Situation. Das war der Moment, wo sie das erste Mal dem angeblichen Ideal der Gesellschaft abschwor.

Sicher gibt es jetzt die Ersten, die meinen, dass sie an ihren Problemen selbst Schuld war. Sie mochte zum Einen versucht haben mehr zu interagieren, sicher besser einzugliedern, doch sie scheiterte bei mehreren Anläufen. Nicht zuletzt dadurch, weil sie nie die alten Ideal überwunden hatte. Aufgrund einer eher mäßigen Kindheit, nicht sonderlich liebevoll, aber auch nicht unbedingt lebensgefährlich, traf sie gleichgesinnt gequälte Seelen. Ich sage euch, da wird man zwangsläufig kritischer, was das Leben und seine Verkettung von Ereignissen angeht. Schon allein von der Schicksalen und den damit verbundenen Lebenswegen. Wer einmal geprägt ist, der muss viel viel Kraft aufbringen das zu überwinden. Die Frage ist nur, ob man das auch wirklich will. In diesem Fall war Amelie nicht überzeugt, den Weg des unbescholtenen Bürgers einzuschlagen. Stattdessen wollte die Regeln ein wenig abwandeln.

Auslöser für die erste Tat war ein Reflex. Eine Art Affekt aus gegebenen Geschehnissen.

„Da, wo das Gesetz nicht greift, da schreite ich ein.“ Waren ihre Worte damals dazu. In den Nachrichten nannte man es das Massaker von Beringen. Siebenundzwanzig Menschen hatten mit ihrem Leben dafür bezahlt, dass sie andere betrogen und Lebensexistenzen zerstört hatten. Amelia hatte damals ihr Katana eingeweiht. Es war eine Kunst des Schwertkampfes gewesen. Sauber und einzeln hatte sie die Köpfe tranchiert wie ein Filet aus einem Knochenfleischstück. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Wer ein Menschenleben nimmt stellt sich über das marode Gesetz. So blind auch Justitia im deutschen Recht geworden ist, ist es niemals angebracht sich über alle zu stellen und selbst zu entscheiden, wie die Bestrafung anzusetzen ist. Nur um das nochmal klar zu stellen, ich möchte hier nichts beschönigen oder idealisieren, was diese Frau getan hat. Welchen Hintergrund es auch immer hatte oder haben wird.

DER KRANICH – Eine Kriegserklärung

Ein kalter Windhauch strich ihr über die Haut, aber sie fröstelte nicht, weil sie hochkonzentriert war. Hoch konzentriert auf ihr zukünftiges Opfer. Marcus Blayne, 45, Finanzjongleur der EHA Holding.

Er hatte Milliarden englische Pfund veruntreut. Ebenso wie viele Tausende andere Anleger, war auch sie betroffen. Das war vor allem so wichtig, weil es das Geld war, was sie sich im Büro erarbeitet hatte. Bei monotoner langweiliger Arbeit. Wäre dieser Geldbetrag weg, konnte sie nicht weiter beide Welten finanzieren. Dieser Marcus Blayne musste also zur Rechenschaft gezogen werden. Genau das war sie im Begriff gerade zu tun. Sie spannte den Bogen der Armbrust während sie das Hochgeschwindigkeitsgeschoss befestigte. Es bedurfte nur eines einzigen Pfeils. Das Ziel war anvisiert und gerade als sie den Pfeil loslassen wollte, betrat eine zweite Person den Hinterhof. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen. Blayne war nach ihren Angaben ein weltfremder Einzelgänger. Sie überlegte, ob sie trotzdem schießen sollte. Während sie abwog, entdeckte sie vom Dach aus, dass sein Begleiter ein angeheuerter Bodyguard sein musste. Sie hasste es, wenn so etwas Unvorhergesehenes eintrat. Schließlich entschied sie sich den Bogen beiseite zu legen und ihre Glock zu greifen. Die Pistole fühlte sie sicher und schön kalt an. Fast wie eine zweite Haut, die sie steuern konnte. Das Metall wurde eins mit ihrer Hand.

Wenn sie ihn jetzt nicht erwischte, blieb ihr nichts anderes übrig als den beiden zu folgen. Das war nur Plan C. Das hier war der Tatort, den sie vorbereitet hatte. Alles war so manipuliert, dass die Spuren zu ihr wegführten. Sie musste sich beeilen. Wieder zielte sie auf Blayne. Den Finger am Abzug war sie kurz davor zu schießen.

„HALT!“ Rief der in tiefsten Schwarz vermummte Begleiter von Blayne. Einzig und allein sie war verwundert, als den Einspruch hörte. Lautlos fluchte sie. Zum ersten Mal war sie ertappt worden und das auch noch, bevor sie zum Zug gekommen war.

„Ich weiß, dass sie da oben sie, Miss Hawthorne!“ Brüllte er zu ihr hoch, als er sah, dass sie nicht beeindruckt war und immer noch abwog, was sie als nächstes tun würde.

„Sonst erschieße ich ihn selbst. Ich weiß doch, wie wichtig Ihnen Ihre Pflichterledigung ist.“ Er hielt eine geladene Glock an die Schläfen von Blayne.

„Schon gut, schon gut.“ In wenigen Schritten hatte sie sich vom Dach abgeseilt und stand zwischen dem vermeintlichen Blayne und seinem Bodyguard.

„Das ist nicht Marcus Blayne! Er ist nur ein Double, um an die echten Drahtzieher zu kommen.“ Erklärte der fremde Bodyguard.

„Ja, klar.“ Gähnte sie gespielt „Und ich bin die Queen höchst persönlich.“

„Welch Ehre, eure Majestät, ihr habt euch gut gehalten für euer Alter.“ Erwiderte der Fremde trocken. Dann fügte er mehr für sich selbst etwas hinzu. „Das war eine ganz beschissene Idee!“ Er drehte seinen Ring am Fingergelenk. „Sie ist doch nicht blöd. Das wird sie mir nicht abkaufen.“

„Improvisieren Sie, Agent Carlyle!“ Kam als verrauschte Antwort aus dem Ring.

Veröffentlicht in EpiLog, Spannung

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